Wenn ich meine Reiseeindrücke rückblickend und zurück im Alltag hier in Worte packe, erscheint mir das Erlebte oft surreal. Dieses Gefühl bekommt momentan noch mal eine ganz neue Dimension. Wenige Tage nach unserer Rückkehr aus Marrakesch stand die Welt still. Die Corona-Pandemie verordnet uns allen eine Zwangspause, der Mensch ist ausgebremst in seiner gewohnten Freiheit, an Reisen ist – wer weiß wie lange – nicht mehr zu denken. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass unsere unbekümmerten Tage in Marrakesch für lange Zeit zum Fernwehstillen ausreichen müssen. Wie aus der Zeit gefallen wirken sie im Nachhinein, wie heute Nacht geträumt. Und dabei hätte es doch gar kein Corona gebraucht, um unseren Marrakesch-Aufenthalt zu etwas ganz Besonderem zu machen…

Reisetraum: Orient

Ganz oben auf meiner Reise-Bucket-List stand seit jeder der Besuch eines orientalischen Marktes. Zum Glück bin ich mit wunderbaren Ladies im Freundeskreis gesegnet, die trotz Kind und Kegel spontan genug sind, mal eben meine Bucket-List mit mir gemeinsam abzuarbeiten. Da Marrakesch nur vier Flugstunden von Deutschland entfernt ist, fiel die Wahl auf Marokkos Hauptstadt. Zu dritt machten wir uns also Anfang März auf Richtung Süden. Und was soll ich sagen? Punkt 1 der Bucket-List erfolgreich abgearbeitet. Die ganze Stadt ist ein einziger orientalischer Basar. Von unserem AirBnB-Riad in der Medina aus waren es nur wenige Schritte ins laute, wilde, kunterbunte Gassen-Wirrwarr der Altstadt. Geklimper hier, Gefeilsche dort, Geruchschaos in der Nase und wild gewordene Mopedfahrer  – unsere Sinne standen Kopf. Wir waren an unserem ersten Tag nicht mal ansatzweise in der Lage, das Gesehene zu verarbeiten, aber zum Glück hat Marrakesch auch zahlreiche Ruhe-Oasen zum Runterkommen in petto.

Rooftop-Hopping

Egal, ob Restaurant, Riad oder Hotel – fast jedes Gebäude verfügt über eine Dachterrasse mit Blick über die Stadt, auf der man sich herrlich vom Shopping- und Feilscherei-Marathon erholen kann. Spätestens nach zwei Stunden kehrten wir also stets irgendwo ein, ließen uns die nordafrikanische Frühlingssonne auf den Scheitel scheinen, schlürften auf bunten Kissen Käffchen oder schmausten marokkanische Tapas wie Humus, Oliven und orientalisch gewürzte Suppe. Und wenn der Tag sich dem Ende neigte, zelebrierten wir unsere Wine O’Clock auf der gemütlichen Dachterrasse unseres Riads.

Die wohl beeindruckendste Terrasse entdeckten wir zufällig auf dem Dach des Hotels “Dar Si Aissa” – ein an Prunk und Farbenspielen kaum zu übertreffendes ehemaliges Diplomatenhaus, das jetzt als Luxus-Herberge fungiert. Auch wenn wir auf unseren Dachterrassen-Drink vergeblich warteten – an die marokkanische Gemütlichkeit muss man sich als Deutsche erst gewöhnen – bescherte mir der einmalige Ausblick über die Weiten der Medina den ersten richtigen Wow-Moment der Reise.

Erholung vom Medina-Getrubel findet man ebenso in den vielen botanischen Gärten der Stadt. Der wohl berühmteste Jardin Majorelle von Yves Saint Laurent höchstpersönlich öffentlich gemacht war uns zu überbevölkert von posenden Instagramern. Entspannter Frappuchacho trinken und tropische Pflanzen bestaunen lässt es sich zum Beispiel im mitten in der Medina versteckten Le Jardin Secret.

Kochkurs bei Muddi

Absolutes Highlight war unser über AirBnB gebuchter marokkanischer Kochkurs. Nach einem kurzen Marktbesuch durften wir im Haus unserer Gastgeberin Laila erstmal fleißig Gewürze schnüffeln und raten. Anschließend wurde geschnibbelt und gemörsert, was das Zeug hält und am Ende fürstlich gespeist am Esszimmertisch der Familie. Karamellisierte Karotten, Auberginen- und Tomatensalat, Zitronenhühnchen-Tajine und zum Abschluss süße Pastilla mit Joghurt – wir vergaßen alle unsere guten Manieren und futterten, bis wir fast platzten. Definitiv das beste Essen dieser Reise, auch wenn wir eher marginal an der Zubereitung beteiligt waren, sondern Laila das meiste in Eigenregie in ihrer Mini-Küche zuende zauberte. Aber immerhin war das die wohl authentischste marokkanische Erfahrung, die wir machen durften, am Ende sogar mit einer Einladung von unserer “marokkanischen Muddi” (Zitat), jederzeit wiederzukommen.

Die Schattenseiten

So vielfältig, überwältigend und einzigartig Marrakesch ist, so verstörend kann es auch sein. Die Armut der Menschen auf den Straßen ist schon sehr bedrückend – besonders wenn man spät abends mit voll gefressenem Bauch an einer bettelnden Mutter mit kleinen Kindern vorbei läuft. Es ist wahnsinnig schwer, da nicht sofort sein Portemonnaie zu plündern, aber die Empfehlung lautet eindeutig, Bettlerei nicht zu unterstützen, damit Kinder nicht zum Betteln benutzt anstatt in die Schule geschickt werden.

Ebenso nervenaufreibend ist die extreme Aufdringlichkeit der Händler am berühmten Platz Djemaa el Fna, der in jedem Reiseführer als Must see hochgelobt wird, Auch wenn wir dort einen köstlichen, lustigen und sehr günstigen Street Food-Abend verbrachten, war das penetrante und hartnäckige Angesprochenwerden doch sehr ermüdend. Mein Tipp: Lieber in den etwas äußeren Bereichen der Medina verweilen, da geht es wesentlich entspannter zu.

Letzte Worte

Was ich aus Marrakesch mitnehme, ist neben einem Teppich (ernsthaft!) und unzähligen anderen schönen Dingen im Gepäck, die Dankbarkeit für herrlich unkomplizierte Tage mit bezaubernden Ladies an meiner Seite und Eindrücken, die mich und meine Reiseliebe durch dieses schwierige Jahr tragen werden. Es ist nicht selbstverständlich, immer überall hin reisen zu können. Grad ruht sich Mutter Erde ein bisschen von uns Reiseverrückten aus und das ist absolut okay so. Wie schön, dass sie mir vorher noch ein wenig “Tausend und eine Nacht”-Gefühl mit auf den Weg gegeben hat.