Liebes Kangaroo Island,

ich habe dich nicht vergessen. 17 Jahre ist es her, dass wir uns während meiner 8-monatigen Backpacking-Reise durch Australien und Neuseeland kennenlernten und kein Ort dieser Reise ist mir noch Jahrzehnte später so sehr im Herzen wie du. Wir meine Freundin Suz und ich besuchten dich damals als blutjunge Wwoofer, also als freiwillige Helferinnen, die für Kost und Logis ein paar Stunden täglich auf einer Farm arbeiten wollten (Wwoofing steht für “World-Wide Opportunities on Organic Farms”). Gelinde gesagt waren wir anfangs skeptisch. Der Farmer, bei dem wir eine Woche unterkommen wollten, wirkte am Telefon nicht sonderlich sympathisch und sein Grundstück wurde im Wwoofing-Buch als “isolated property” beschrieben. Auf der Fähre, die uns von Adelaide zu dir führte, hatten wir erstmal die schlimmsten Horrorvisionen. Wir stellten uns darauf ein, in einem düsteren Schuppen zu hausen, in Arbeit zu ersticken und keinerlei Essen zu bekommen (vorsichtshalber stopften wir uns noch mal mit Keksen voll). Nie im Leben hätten wir gedacht, dass wir so unser Herz an dich verlieren und an Dennis, unseren Farmer, einen der liebenswertesten und witzigsten Menschen, den ich je kennenlernen durfte.

Schuften, angeln und Kangaroo-Watching

Liebes Kangaroo Island, du hast es uns direkt angetan mit deinem azurblauen Angeber-Wasser und den goldgelben Grashügeln. Als unser Farmer Dennis uns abholte, redete er zunächst nicht viel. Liebe auf den ersten Blick war das definitiv nicht zwischen uns. Immerhin waren wir erleichtert, als wir unser Zuhause für die nächste Woche sahen: ein unerwartet großes, in hellem Holz gehaltenes Haus mit Blick auf einen Salzsee. Kaum angekommen, durften wir direkt schuften: eine Stunde grünes Gras aus der gelben Wiese zupfen. Der Sinn blieb uns verborgen. Entschädigt wurden wir aber durch einen anschließenden Mini-Ausflug zum 1 Kilometer entfernten Strand Flour Cask Bay, der alle Strände toppte, die wir bis dahin gesehen hatten. Am schneeweißen Sandstrand durften wir dann sogar die Angel schwingen.

Abends entführte uns Nachbar Bob noch zu unserem ersten “Kangaroo-Run”. Mit Taschenlampen bewaffnet, schipperte er uns in seinem Auto vorbei an unzähligen Kängurus und Wallabies. Und Kängurus-Gucken wurde ab da zum abendlichen Ritual. Auf dem Balkon vor dem Haus spielten wir das süchtig machende Kartenspiel “Shithead” und beobachteten die Kängurus, die zum Trinken vorbeischauten. Darunter auch Keppa, das größte Känguru weit und breit mit Vorderläufen wie ein Pferd. Wenn er kam, mussten alle anderen Tiere gehen auch Pooh, das Possum, Berry the Bat und Sir Henry, eine nicht sonderlich appetitliche Riesenspinne.

Kochen, misten, jähten, bauen

Wie es für Wwoofing typisch ist, verbrachten wir circa 4 Stunden des Tages mit verschiedenen Arbeiten. Wir bauten eine Treppe im Garten, kochten für uns alle (dumm für Dennis, dass wir junge Dinger eigentlich nur Nudeln und Reis mit Fertigsoße konnten), befreiten den Kühlschrank von jahrelang abgelaufenen Lebensmitteln (es sei dem alten Junggesellen verziehen) und misteten den Schafstall des Nachbarn aus. Den Arbeitsschweiß wegduschen durften wir uns aufgrund von Wassermangel übrigens nur alle 2 bis 3 Tage. Und das Duschwasser wurde dann noch zweitvertwertet zum Blumengießen oder Autowaschen.

Robbenliebe und Belly-Surfing

Weil wir so “fleißige Bienchen” waren, chauffierte Dennis uns an einem Tag über die Insel. Wir bewunderten die faulen Robben an der Seal Bay, rutschten in der blütenweißen Sanddüne Little Sahara bäuchlings die Hänge runter und bestaunten im Flinders Chase Nationalpark die bizarren Felsformationen der Remarkable Rocks. Immer mit Puderzuckersand zwischen den Zehen, dem türkisfarbenen Meer im Blick und der Seeluft im Haar.

Für Dennis

Lieber Dennis, wir wissen nicht, wie es dir geht und wo du jetzt steckst. Da du aber mittlerweile (mindestens) in deinen 80ern sein müsstest, ist es eher unwahrscheinlich, dass du noch in deinem kleinen Paradies lebst. Doch egal, wo du bist, du sollst wissen, dass wir diese unglaubliche Zeit am allermeisten dir zu verdanken haben. Wir fanden dich am Anfang ziemlich schräg, aber es hat nicht lange gedauert, bis wir gemerkt haben, dass du uns mindestens genauso magst wie wir dich. Wir waren deine Wwoofer Nummer 68 und 69, dein “Double Trouble” und wir werden, wenn wir uns an Kangaroo Island erinnern, immer daran denken, wie du wirklich auf jedes (!) Essen Fischsoße drauf gemacht, endlos im Abendrot mit uns Shithead gespielt und uns in deiner alten Klapperkarre die Schönheiten der Insel gezeigt hast. Dieser Liebesbrief ist eigentlich für dich…


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